Viele Whiskys, vor allem aus Küstennähe, werden als „salzig“ beschrieben. Doch was steckt dahinter? Ist da wirklich Salz im Glas – oder spielt uns unser Gehirn einen Streich?
Die Idee vom salzigen Meer-Whisky
Die Vorstellung klingt romantisch: Salzige Meeresluft trifft auf Eichenholz, Gischt schlägt ans Lagerhaus, das Fass „atmet“ die Seeluft ein – und mit ihr das Salz. So erzählt man es gern in Destillerien an der Küste. Doch die Naturwissenschaft spricht eine andere Sprache.
Salz ist nicht flüchtig
Salz, also Natriumchlorid, ist kein leichtflüchtiger Stoff. Es hat einen Siedepunkt von 1.465 °C – weit jenseits aller Temperaturen, die bei der Whiskyproduktion vorkommen. Das heißt: Salz verdampft nicht, dringt nicht gasförmig durch Holzporen, lässt sich nicht destillieren – und bleibt außen vor. Auch über das Prozesswasser (z. B. beim Maischen) gelangt es nicht ins fertige Produkt. Die nachfolgende Destillation trennt flüchtige von nichtflüchtigen Stoffen. Das bedeutet: Der New Make ist garantiert salzfrei!
Kann Meerwasser durch das Fass sickern?
Selbst wenn Meerwasser ans Fass gelangte, wäre das Holz des Reifefasses zu dicht, um Flüssigkeit durchzulassen. Umgekehrt würde nämlich reifender Whisky auslaufen. Wissenschaftliche Messungen bestätigten, dass der Natriumgehalt in gereiften Whiskys – der Salzgeschmack wird durch die Natriumionen ausgelöst – zwischen 3 und 23 mg/L lag und damit weit unterhalb der menschlichen Geschmackswahrnehmungsschwelle von etwa 160 mg/L. Diese Natrium-Werte entsprechen im Wesentlichen dem Gehalt von schottischem Quellwasser.
Der wahre Ursprung des Salzgeschmacks
Warum schmeckt der Dram also manchmal nach Meer? Der Schlüssel liegt nicht im Salz, sondern im Geruch. Was wir mit Meeresluft assoziieren – Iod, Algen, Tang – stammt von flüchtigen Stoffen wie Dimethylsulfid (DMS) oder Phenolen. Einige dieser Verbindungen entstehen im Torfrauch, andere während der Fassreifung. Sie erinnern an die Küste – und wenn wir beim Trinken diese Aromen wahrnehmen, ergänzt unser Gehirn automatisch den Salzgeschmack. Es verknüpft frühere Sinneseindrücke: der Geruch des Meeres, das Salz auf den Lippen, das Gefühl von Gischt und Wind.
Fazit
Die salzige Note im Whisky ist also kein echtes Salz, sondern eine komplexe Mischung aus maritimen Aromastoffen und psychologischer Wahrnehmung. Was wir als salzig empfinden, entsteht aus flüchtigen Molekülen wie DMS, Phenolen und unserer Erfahrung am Meer. Es gibt kein Salz im Whisky – nur eine verblüffende Illusion, erschaffen durch Aromen, Erinnerung und Sensorik.