Bei der Whiskyherstellung gibt es ein spannendes Phänomen: Im Destillat finden sich Aromastoffe (Kongenere), die eigentlich einen höheren Siedepunkt haben als Ethanol – manche sogar höher als Wasser. Eigentlich sollten sie also in der Brennblase zurückbleiben. Doch die Chemie hat ihre eigenen Wege.
Mitziehen statt verdampfen
Tatsächlich gelangen viele dieser schwer flüchtigen Stoffe trotzdem in die Gasphase – nicht allein, sondern „mitgezogen“ von leichter verdampfenden Stoffen wie Ethanol (Siedepunkt: 78,4 °C). Dieses sogenannte Mitzieh-Phänomen sorgt dafür, dass auch Aromen mit hohen Siedepunkten im Destillat landen – und damit im Geschmack des Whiskys.
Nicht nur der Siedepunkt zählt
Entscheidend ist nicht allein der Siedepunkt, sondern der Dampfdruck einer Flüssigkeit. In einem Stoffgemisch beeinflussen sich die Bestandteile gegenseitig: Schon bei moderaten Temperaturen können schwer flüchtige Moleküle verdampfen, wenn ihr Dampfdruck durch andere Komponenten – etwa Ethanol – erhöht wird. Das erklärt das sogenannte Raoultsche Gesetz. So gelangen auch hochsiedende Aromastoffe mit ins Destillat.
Molekulare Tricks: Wasserstoffbrücken und Azeotrope
Einige Kongenere „haften“ regelrecht an Ethanol, etwa durch Wasserstoffbrückenbindungen – ähnlich wie winzige Magnete. Sie verdampfen dann gemeinsam. Auch Azeotrope spielen eine Rolle: Das sind Flüssigkeitsmischungen, die sich beim Destillieren nicht mehr trennen lassen und gemeinsam sieden – oft bei einer Temperatur unterhalb ihrer Einzelwerte.
Technik trifft Chemie
Wie viele und welche Aromen ins Destillat übergehen, hängt auch von der Technik ab: Form und Größe der Brennblase, Temperaturverlauf, Destillationsgeschwindigkeit und sogar der verwendete Kondensator spielen eine Rolle. Auch Kupfer, aus dem viele Brennblasen und Kondensatoren bestehen, trägt zum Aromaprofil bei – indem es mit unerwünschten Schwefelverbindungen reagiert. Zusätzlich können während der Destillation neue, leichter flüchtige Verbindungen entstehen, die den Whisky weiter verfeinern.
Fazit
Obwohl viele Aromastoffe hohe Siedepunkte haben, bringt das Zusammenspiel von Chemie und Technik sie doch ins Destillat. Das Ergebnis: ein komplexer Whisky, in dem jedes Molekül eine kleine Geschichte erzählt – und jeder Tropfen ein echtes Destillationswunder ist.