A – wie Angels‘ Share

Whisky ABC - A wie Angel' Share

Was bedeutet der Begriff Angels‘ Share?

Der Begriff „Angels‘ Share“ kommt aus dem Englischen und bedeutet wörtlich übersetzt „Anteil der Engel“.

Was versteht man unter Angels‘ Share?

Als Angels‘ Share wird der Volumenverlust von Flüssigkeit in einem Whiskyfass bezeichnet, der durch Verdunstung zustande kommt.

Kann man den Angels‘ Share riechen?

Aber ja! Denn der unverwechselbare, aromatische und leicht alkoholische Geruch, den man beim Betreten eines Lagerhauses sofort in der Nase wahrnimmt, ist auf eben jenen flüchtigen Anteil zurückzuführen, der aus den Reifefässern entwichen und für die Engel bestimmt ist.

Wie kann Flüssigkeit aus einem intakten Holzfass überhaupt entweichen?

Durch die mikroskopisch kleinen Poren des Holzes sowie durch die winzigen Räume zwischen den einzelnen Dauben kann Flüssigkeit aus dem Inneren eines Fasses durch Verdunstung nach Außen ins Freie gelangen. Dies geschieht unabhängig davon, wie sorgfältig ein Küfer das Fass gebaut hat und wie dicht die Dauben aneinandergereiht sind.

Wie kann Flüssigkeit im Fass verdunsten?

Sobald ein Fass mit frischem Destillat, also dem New Make, gefüllt ist, beginnt der Prozess der Verdunstung. Da die Fässer nur selten ganz voll befüllt werden, bleibt in der Regel ein kleines Luftreservoir zwischen der Flüssigkeitsoberfläche und der Oberseite des liegenden oder stehenden Fasses übrig, welches man als Kopfraum bezeichnet. Die Fassdauben sorgen für eine zusätzliche Vergrößerung des Kopfraumes, da sie frisches Destillat wie ein Schwamm aufnehmen können. Im Gegensatz zu bereits vorbelegten Fässern absorbieren die Dauben von frischen, unbelegten Fässern nach dem Befüllen des Fasses sogar bis zu zwei Prozent des gesamten Spiritvolumens. Beim Verdunsten verlassen diejenigen Ethanol- und Wassermoleküle, die über ausreichend Energie verfügen, die reifende Flüssigkeit und gelangen gasförmig als Dampf in den Kopfraum. Über die winzig kleinen Holzporen und Zwischenräume der Dauben drängen sich diese Moleküle dann aus dem Fass ins Freie.

Welche Stoffe verdunsten aus dem Fass?

Beim Verdunsten verlassen vornehmlich die Hauptkomponenten des New Make, also Wasser und der Alkohol Ethanol, das Fass. Aber auch andere chemische Substanzen im Destillat, wie z. B. flüchtige Fuselalkohole, Aldehyde, Ester und Schwefelverbindungen, können im Fass verdunsten und so ihren Weg ins Freie finden.

Wie groß sind die Flüssigkeitsverluste durch den Angels‘ Share?

In Schottland treten diese Flüssigkeitsverluste mit einer jährlichen Rate von durchschnittlich etwa zwei Prozent des Volumens auf. Dies hat zur Folge, dass nach acht Jahren der Reifung etwa 15 Prozent des Whiskys allein durch Verdunstung verloren gehen. Nach 20 Jahren kann das Volumen im Fass gar um ein Drittel oder mehr gesunken sein. Bei einem vollständig befüllten 250 Liter Fass wären das immerhin mehr als 80 Liter, die durch den Angels‘ Share verloren gehen. Ein beträchtlicher wirtschaftlicher Verlust! Da die Verdunstungsrate u. a. von der Temperatur abhängt, erreicht die jährliche Verdunstung in heißeren Klimazonen, wie beispielsweise in Indien oder Taiwan, sogar einen zweistelligen Prozentsatz und geht mit noch höheren Volumenverlusten einher.

Wie hoch ist der Angels‘ Share bei St. Kilian?

Bei uns im Odenwald ist es durchaus etwas wärmer als in Schottland. Deshalb ist der Angels‘ Share auch etwas höher. In den kühleren Lagerhäusern unserer Bunker City liegt der Volumenverlust im Schnitt zwischen drei und vier Prozent pro Jahr, in dem wärmeren Lagerhaus in der Destillerie in Rüdenau sogar etwas darüber. Das entspricht der Größenordnung, die uns der Zoll gewährt. Denn der deutsche Zoll erlaubt einen Volumenverlust von bis zu vier Prozent pro Fass pro Jahr, und das steuerfrei. Was darüber hinausgeht, muss von der Destillerie versteuert werden. Das bedeutet, dass wir in diesem Fall für etwas bezahlen müssten, was im Endeffekt gar nicht mehr vorhanden ist.

Was entweicht schneller aus dem Fass, Wasser oder Ethanol?

Wasser und Ethanol sind die Hauptkomponenten im New Make, der meist mit einem Ethanolgehalt von 63,5 Prozent ins Fass gefüllt wird. Beide entweichen mit unterschiedlicher Geschwindigkeit aus dem Fass. Denn ihre Verdunstungsrate hängt von den Umgebungsbedingungen der Fässer im Lagerhaus ab, wie Temperatur und relative Luftfeuchtigkeit. Der physikalische Grund hierfür ist die Tendenz ähnlicher Systeme, sich einander anzugleichen. So versucht die Menge an Wasser im Destillat im Inneren des Holzfasses stets ein Gleichgewicht mit der Wassermenge, die das Fass umgibt, also mit der Luftfeuchtigkeit im Lagerhaus, herzustellen. Bei hoher Luftfeuchtigkeit im Lagerhaus ist diese Atmosphäre, die das Fass umgibt, bereits mit Wasser gesättigt, so dass der Anteil an Wasser in der Flüssigkeit, die aus dem Fass durch Verdunstung nach außen gelangt, geringer als Ethanol ist. Umgekehrt sorgt eine wasserärmere Umgebung des Fasses, also eine trockenere Luft im Lagerhaus, für eine verhältnismäßig stärkere Verdunstung des Wassers aus dem Fass, um auf diese Weise die größeren Feuchtigkeitsunterschiede zwischen dem Inneren und dem Äußeren des Fasses auszugleichen.

Ist der Angels‘ Share in kleinen Lagerhäusern gleich?

Nein. Selbst in einem Dunnage Warehouse, in dem maximal drei Fässer übereinandergestapelt werden, gibt es unterschiedliche Verdunstungsraten. Da Ethanol schwerer ist als Luft, wird sich der Alkohol eher am Boden des Lagerhauses aufhalten. Dies hat zur Folge, dass aus dem untersten Fass in der Reihe verhältnismäßig mehr Wasser als Ethanol verdunsten wird, um die Feuchtigkeitsunterschiede auszugleichen. Das oberste Fass hingegen ist weniger von Ethanol umgeben. Somit wird das Ethanol-Wasser-Verhältnis des Angels‘ Share aus diesem Fass unterschiedlich zu dem der unteren Fassreihe sein.

Welche Folge hat die unterschiedliche Verdunstungsrate von Ethanol und Wasser?

Bei einer hohen Luftfeuchtigkeit und niedrigeren Temperatur im Lagerhaus verdunstet also verhältnismäßig mehr Ethanol als Wasser aus dem Fass und der Ethanolgehalt nimmt während der Reifung des Whiskys ab. Dies ist die typische Situation in Schottland, wo die relative Luftfeuchtigkeit oft 80 bis 90 Prozent beträgt, insbesondere im Winter. Hingegen geht in relativ heißen und trockenen Klimazonen, wie beispielsweise im amerikanischen Bundesstaat Kentucky, mehr Wasser als Ethanol durch den Angels‘ Share verloren und führt zu einem Anstieg des Ethanolgehalts im Fass während der Reifung des Whiskys.

Von welchen Bedingungen hängt der Angels‘ Share also ab?

Die Gesamtmenge und die relative Rate, mit der die Hauptkomponenten Wasser und Ethanol durch Verdunstung aus dem Holzfass entweichen, hängen von folgenden Parametern ab:

  • Art des Holzes, aus dem das Fass gefertigt ist
  • Fassgröße (je kleiner das Fass, desto größer der Angels‘ Share)
  • Fassart (frisches, einmal oder mehrmals vorbelegtes Fass)
  • Qualität des Fasses bzw. Handwerksgeschick des Küfers
  • Art des Reifelagers (Dunnage oder Racked Warehouse)
  • Temperatur und Luftfeuchtigkeit im Lagerhaus
  • Alkoholgehalt des New Make (Füllstärke)
  • Position des Fasses im jeweiligen Lager

Hat der Angels‘ Share auch positive Effekte?

Natürlich! Wenn nämlich etwas aus dem Fass entweicht, dann kann etwas anderes wieder hineinströmen. Und das ist Luft. Ein Austausch mit Luft ist äußerst wichtig für die Reifung. Denn der in der Luft enthaltene Sauerstoff bewirkt eine Oxidation, die zu einem bedeutenden Prozess der Reifung von Whisky im Fass zählt. So kann der Alkohol Ethanol sowie andere Alkohole, wie die Fuselöle, mit Sauerstoff zu chemischen Verbindungen, wie Aldehyden und Säuren, oxidiert werden. Diese Aldehyde können mit Alkoholen zu aromagebenden Verbindungen weiter reagieren. Die Säuren wiederum gehen mit Alkoholen Reaktionen ein und bilden Ester, die sich durch ihre außerordentlich fruchtigen Aromen im gereiften Whisky bemerkbar machen.

Kann man den Angels‘ Share auch sehen?

Indirekt ja. Es gibt einen schwarzen, rußähnlichen Pilz, der sich von dem verdunsteten Alkohol Ethanol ernährt. Sein lateinischer Name ist Baudoinia compniacensis. Dieser Pilz wächst an den Wänden von Lagerhäusern und kann sich sogar auf umliegende Bäume, Sträucher und Gebäude ausbreiten. Geschwärzte Lager deuten bereits von weitem darauf hin, dass darin Whiskyfässer gelagert werden. Diese außen verfärbten Wände sind sowohl in den USA und in Schottland als auch bei uns in der Bunker City zu sehen.

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